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01.03.2017
Gewalt und Recht

Gewalt und Recht - Die Erschießung des Grafen Marx Wilhelm von Oettingen-Spielberg am 5. September 1614 bei Nördlingen (Bayern):

Nördlingen

Die europäische Geschichte ist sehr wesentlich auch die Geschichte des langen und langsamen Prozesses der Verrechtlichung von Konflikten. Der bekannte Ausspruch Lenins über die Deutschen – sie könnten keine Revolution machen; wenn sie einen Bahnhof stürmen sollten, würden sie vorher eine Fahrkarte kaufen – markiert seine wohl im 18. Jahrhundert beginnende moderne Phase. In den Jahrhunderten davor spielten neben den justizförmigen die außergerichtlichen gewaltsamen Formen der Konfliktregelung noch eine bedeutende Rolle. Ein Beispiel dafür ist der Streit der bayerischen Reichstadt Nördlingen mit den Grafen von Oettingen um das Recht zur Wachteljagd, in dessen Verlauf der junge Oettinger Graf bei einem blutigen Zusammenstoß von Nördlinger Schützen erschossen wurde.

Erst diese Tat gelangte vor Gericht. Da die von den Oettinger Grafen beklagte Stadt ein reichsunmittelbarer Stand war, fiel die Sache in die Zuständigkeit des kaiserlichen Reichshofrats. Der umfangreichen Akte (1.596 Bl.) aus dem im Haus-, Hof- und Staatsarchiv lagernden Bestand verdanken wir neben ausführlichen Zeugenverhörprotokollen und mehreren Rechtsgutachten juristischer Fakultäten, mit denen sich die Parteien ihren jeweiligen Rechtsstandpunkt auf hochgelehrte Weise bestätigen ließen, auch die hier präsentierten Funde:

Kugel Hauptmann Ant

Die farbige und nach damaligem Usus gesüdete Karte ist das Ergebnis penibelster Rekonstruktion des Tathergangs durch eine vom Reichshofrat eingesetzte Untersuchungskommission. An der mit „K“ bezeichneten Stelle erfolgte der tödliche Schuss. Hinzuweisen ist auch auf die erstaunlich detaillierte frühe Stadtansicht (Vedute) Nördlingens.

Zudem befinden sich in der Akte kuriose materielle Zeugnisse der vorangegangenen Gewaltexzesse in Form zweier Pistolenkugeln. Diese sollten den Aufschriften ihrer Papierkuverts zufolge den Rechtsstandpunkt der auf Notwehr plädierenden Stadt stützen:

„Dise Kugell ist Montags denn 5ten Sept. 1614 von einem Grävischen Raisige auff denn Nördlingischen Haupttman geschoßen und dardurch der laidige Fahl verursachett worden. 5 Sept. 1615.“

Kugel Bürger Ant

„Sonnabendts denn 3ten Sept. 1614 hatt ein Grävischer Reutter einem Nurdlingischen Burger den Pistol in das Angesicht gestossen, zugleich lossgedruckht, das also diese Kugell ihm neben dem Mund in ein rain hinein gefahren und herauß gegraben, das Pulver noch im Angesicht zusehen.“

Die Kugeln dienten also als Beweismittel. So werden im Prozess der Verrechtlichung aus Zeugnissen gewaltsamer Konfliktregelung zugleich solche moderner Rechtspraxis, die die Entwicklung der europäischen Zivilgesellschaften maßgeblich vorangetrieben hat und bis heute prägt.

Solche und viele andere Überlegungen etwa auch zur europäischen Dimension des Bestandes, der nicht weniger als 18 europäische Länder umspannt, führten im Jahr 2007 zur Einrichtung eines deutsch-österreichischen Kooperationsprojekts zur Erschließung der Judizialakten des Reichshofrats unter Federführung der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Seitdem hat unser Projektteam rund 9.000 Akten des 16. bis frühen 18. Jahrhunderts mit ca. einer halben Million Aktenblättern aus den Serien „Alte Pager Akten“ und „Antiqua“ verzeichnet. Das sind ca. 7% des Gesamtbestands. Die Erschließung der weit über 100.000 Akten ist somit eine generationenübergreifende Aufgabe.

Zugänglich gemacht werden unsere detaillierten Verzeichnungen durch gedruckte Inventare. Bislang liegen acht Bände im Gesamtumfang von fast 6.000 Druckseiten vor. Zudem werden unsere Arbeitsergebnisse demnächst vollständig und relativ zeitnah auch im Archivinformationssystem des Österreichischen Staatsarchivs veröffentlicht, damit die Forschung auch über das Netz weltweit und jeder Zeit auf die strukturierten Daten des größten zusammenhängenden Aktenbestandes zugreifen kann, den das Alte Reich hinterlassen hat.

OeStA, HHStA, RHR, Antiqua 469-1, 470-1, hier: 469-1, fol. 149, 782f.

Weitere Infos siehe:
http://reichshofratsakten.de/
https://adw-goe.de/startseite/
http://www.archivinformationssystem.at/suchinfo.aspx

Ulrich Rasche

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