"Wenn es so anfängt, dann hören wir gleich wieder auf!"
Archivale des Monats April 2023
Vor genau 70 Jahre, am 2. April 1953, wurde Julius Raab als Bundeskanzler angelobt. Die erste Ministerratssitzung unter seinem Vorsitz fand bereits eine Woche später statt.
Raab war seit 1951 geschäftsführender Bundesparteiobmann der ÖVP und bereits seit 1945 Klubobmann im Parlament. Im Hintergrund zog er als starker Mann die Fäden in der Partei. Bundeskanzler war jedoch Leopold Figl, der mit Raab an sich persönlich befreundet war. Die entscheidende Weichenstellung passierte nach der Nationalratswahl am 22. Februar 1953. Die ÖVP erlitt eine Niederlage und behielt nur aufgrund der Wahlarithmetik die meisten Mandate. Stimmenstärkste Partei wurde die SPÖ. Aus der geschwächten Position heraus verliefen die Verhandlungen für die ÖVP zäh, der Druck seitens der anderen Parteien und der Alliierten war groß. Raab bevorzugte vorerst eine Koalition unter Einbeziehung des VdU, musste diesen Plan aber aufgeben, als klar wurde, dass Bundespräsident Theodor Körner eine solche Regierung nicht akzeptieren würde.
Am 1. April 1953 einigten sich SPÖ und ÖVP auf die weitere Zusammenarbeit. Raab wurde tags darauf als Bundeskanzler angelobt, Vizekanzler blieb der spätere Bundespräsident Adolf Schärf.
Die Verhandlungsschrift über die Sitzung des bereits erwähnten Ministerrats lässt erahnen, wie herausfordernd die Regierungsgespräche gewesen waren. So hatte der Koalitionspakt die sozialdemokratische Forderung enthalten, dass der frühere Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Schlegel, dem von der SPÖ nominierten Hans Frenzel in der Position als Präsident des Rechnungshofes Platz machen sollte. Schlegel hatte sich, so führte der Bundeskanzler zu Beginn der Ministerratssitzung aus, bei ihm darüber beschwert, von dem beabsichtigten Tausch selber erst aus den Zeitungen erfahren zu haben. Daran entzündete sich sogleich ein handfester Streit (siehe PDF unterhalb), stellte sich doch die Frage, ob der Wechsel an der Spitze des Rechnungshofs bereits mit 1. Mai oder doch erst mit 1. Juni erfolgen sollte. Der Streit gipfelte in einer Wortmeldung von Innenminister Oskar Helmer: „Wenn es so anfängt, dann hören wir gleich wieder auf.“ Gleich wieder aufgehört wurde übrigens nicht. Bekanntlich sollte Julius Raab acht Jahre in der Funktion des Bundeskanzlers bleiben und die große Koalition noch 13 Jahre lang halten…
Hier können Sie die ersten vier Seiten der Verhandlungsschrift downloaden (PDF, 3800 KB)
Helmut Wohnout/Alexander Zechmeister
Signatur:
AT-OeStA/AdR MRang 2. Rep. Mrp Kv 105
AT-OeStA/AVA AVS FSt BKA 05.36
Literatur:
Helmut Wohnout/Johannes Schönner, Das politische Tagebuch von Julius Raab 1953/1954. Neue Erkenntnisse zu den ersten Jahren seiner Kanzlerschaft, in Demokratie und Geschichte 2003/04. Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich, Jg. 7/8; S. 13-72, Wien 2005