"Fesseln wir die Wasserkräfte!"

Das "Wasserkraft- und Elektrizitätswirtschaftsamt (W.E.W.A.)" und die Anfänge der Nutzung der Wasserkraft in Österreich nach 1918

Archivale des Monats Juni 2023

Zu einem wichtigen Faktor im Energiebereich, der Nutzung der Wasserkraft, wurden die Grundlagen in den frühen Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs gelegt. Im Österreich nach 1918 erfolgten Bemühungen zur „materiellen Neugestaltung“ Österreichs. Eines der wichtigen Themen – neben der Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes – war der Ausbau der Wasserkraft zur Gewinnung von Elektrizität.

Der junge Staat war von einer massiven Versorgungskrise betroffen, in allen Bereichen herrschte Mangel. Ausländische Lebensmittel-Hilfslieferungen nach Österreich waren keine großzügige Spende, sondern mussten bezahlt werden. Dazu kam eine Kohlekrise – jene großen Kohlevorkommen im Norden der Donaumonarchie, die über lange Zeit eine stabile und günstige Grundlage der Industrialisierung darstellten, standen Österreich nicht mehr zur Verfügung. Eine kleine Gruppe an engagierten und zukunftsorientierten Technikern, Wirtschaftswissenschaftern, Politikern und höheren Beamten bedachte schon früh den Wasserreichtum Österreichs und die damit verbundenen Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Nutzung. Die Ausgangslage war nicht gerade vielversprechend: Vor dem Ersten Weltkrieg gab es keine einheitliche Elektrizitätswirtschaft. Wasserkraftwerke wurden auf privater Basis errichtet, um die Versorgung der privaten industriellen Unternehmen zu sichern. Erst als die Schwierigkeiten mit der Kohleversorgung auftraten, begann die Auseinandersetzung mit dem Gedanken einer geplanten Wasser- und Elektrizitätswirtschaft. Bereits in der Ausgabe vom 24. Dezember 1918 war in der Arbeiter-Zeitung zu lesen: „Für den Ausbau der Wasserkräfte“. Der Artikel formulierte die Intention, „alle Angelegenheiten des Ausbaus und der Verwertung der deutschösterreichischen Wasserkräfte […] bei einer Dienststelle zu zentralisieren“.

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Am 27. Dezember 1918 forderte Arbeiter-Zeitung: „Fesseln wir die Wasserkräfte!“ und sah in der Nutzung der Wasserkraft die Möglichkeit zur Schaffung von dringend benötigten Arbeitsplätzen, „nutzbringende[r] Arbeitsgelegenheit“, wie es damals hieß. Widerstand gegen diese neue Variante der Energieversorgung kam von den Bankinstituten, die erhebliche Mittel in die Kohleindustrie der Monarchie veranlagt hatten, und von der Heeresverwaltung, die die Verkehrspolitik (Eisenbahnpolitik) dominierte. Die Industrie- und Verkehrswirtschaft der kleinen Republik Österreich konnte weiterhin nur durch große Importe an festen Brennstoffen aufrechtherhalten werden und der schwierige Bezug von Kohle würde anhalten. Die vorausblickenden Politiker mahnten jedoch, dass es notwendig sei, auf jenen Energieträger zurückzugreifen, der im Überfluss vorhanden war: die Wasserkraft. Vor allem die Schaffung einer entsprechenden Verwaltung zur Verwertung der Wasserkraft war eine große Herausforderung, unter anderem auch deshalb, weil es notwendig war, die administrativen Kompetenzen im energiearmen Österreich in einer einzigen Stelle zu bündeln.

Dem sozialdemokratischen Abgeordneten Wilhelm Ellenbogen kam eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Wasserwirtschaft zu. In einer Sitzung des Elektrizitätsausschusses des Staatsrats der Republik Deutschösterreich am 16. Dezember 1918 brachte er als Vorsitzender den Antrag zur Schaffung eines Wasserkraft- und Elektrizitätswirtschaftsamtes (W.E.W.A.) ein und argumentierte, dass ein rascher Beschluss zum sofortigen Ausbau der Wasserkraft aufgrund der politischen Situation nicht gefasst werden könne, die Errichtung des W.E.W.A. aber einen ersten Lösungsansatz darstelle. In der Sitzung vom 3. Jänner 1919 wurde sodann die Errichtung des W.E.W.A. beschlossen und Ellenbogen als Vortragender Staatsrat in das Direktorium entsandt.

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Am 19. Februar 1919 um 3 Uhr nachmittags begann unter dem Vorsitz des Staatsrates Dr. Wilhelm Ellenbogen die 6. Sitzung des Direktoriums des W.E.W.A. Das Protokoll trägt den Vermerk „streng vertraulich“ und beinhaltete u. a. den wegweisenden Tagesordnungspunkt „Schluß der Beratungen über den Antrag des Ministerialrates Dr. Wilhelm Freiherr von Alter, betreffend die Abänderung des Organisationsstatuts des W.E.W.A.“

Im Organisationsstatut des W.E.W.A. ist der Wirkungskreis dieser Neugründung wie folgt festgelegt: Zur Sicherstellung einer einheitlichen Behandlung der von der d. ö. Staatsverwaltung nach den bestehenden gesetzlichen Vorschriften und organisatorischen Einrichtungen auf dem Gebiete der Wasserkraft- und Elektrizitätswirtschaft wahrzunehmenden Aufgaben, sowie zur Erzielung eines einheitlichen Wirkens der Organe der Staatsverwaltung und der Landesverwaltungen auf diesem Gebiete wird eine dem Staatsrate unmittelbar unterstehende Dienststelle mit der Bezeichnung „Wasserkraft- und Elektrizitätswirtschaftsamt“ (W.E.W.A.) errichtet. Soferne mit den Angelegenheiten der Wasserkraftwirtschaft andere wasserwirtschaftliche Fragen im Zusammenhange stehen, können sich die Beratungen des W.E.W.A. auch auf diesen erstrecken.

Nach mehr als zehnjähriger Tätigkeit wurde das W.E.W.A. – gegründet als interministerielle Stelle zum Zwecke des Interessensausgleichs zwischen den Bundesländern und dem Gesamtstaat in der Angelegenheit  des Ausbaus der Wasserkräfte – unter der Kurzzeitregierung von Carl Vaugoin am 8. März 1930 liquidiert.

Karin Holzer

Signatur: ÖStA/AdR, BKA-Inneres, WEWA, 99/1919 (Karton 39)

Literatur: 
Arbeiter-Zeitung, 27. Dezember 1918, S. 6
März, Eduard: Österreichs Bankpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1 923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, Wien 1981, S. 504
Arbeiter-Zeitung, 24. Dezember 1918, S. 4
Hufschmied, Richard: Wasserkraft, Elektrizität und Gesellschaft in Österreich von 1880 bis in die 1930er Jahre, phil. Diss., Wien 2011