Die Österreichische Hofkanzlei unter Karl VI.
Archivale des Monats März 2021
Einen Startschuss für die Errichtung der Österreichischen Hofkanzlei (heute Bundeskanzleramt) mag eine kaiserliche Resolution vom 25. Juli 1716 darstellen, nach welcher das kaiserliche Hofspital Grund für den Bauplatz zur Verfügung stellen sollte. An die Grundsteinlegung für die „Österreichische Geheime Hof- und Staatskanzlei“ am 13. September 1717, einen Tag nach dem jährlichen Gedenken zum Entsatz von Wien, erinnert eine dazu geprägte Medaille, die Hofkanzler Philipp Ludwig Graf Sinzendorf (1671–1742) und die Lage des Baus nahe der Hofburg nennt. Als Architekt für die Österreichischen Hofkanzlei konnte Johann Lukas von Hildebrandt gewonnen werden. Grabungsarbeiten erschütterten Teile der ohnehin schlechten Bausubstanz des benachbarten Hofspitals kurz darauf dermaßen, dass dessen Archiv im August 1717 einstürzte und Wohnbereiche stark gefährdet waren. 1718 war das Spital für die Zurverfügungstellung des Grundes noch immer nicht entschädigt worden, was erst ein Jahrzehnt später erfolgen sollte. Geld war nach den militärischen Auseinandersetzungen der vergangenen zwei Jahrzehnte jedenfalls rar in der Habsburgermonarchie. Wenige Jahre zuvor war das Gebäude der Böhmischen Hofkanzlei (heute Öst. Verwaltungsgerichtshof, 1710–1714, Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach) errichtet worden, dessen kostspieliger Bau selbst in deren Instruktion von 1719 genannt wird. Die Neubauten waren gleichzeitig Teil eines umfassenden Verwaltungsreformprozesses der Zentralstellen in der Regierungszeit Karls VI.
In den Kontext des Anlaufens des Bauvorhabens ist vorliegendes Schreiben des Österreichischen Hofkanzlers Philipp Ludwig Graf Sinzendorf zu setzen: Am 16. Dezember 1716 wandte sich der Hofkanzler an den niederösterreichischen Landmarschall Aloys Thomas Raimund Graf Harrach (1669–1742) als Vertreter der Stände, die für den Souverän wichtige Geldgeber und Vermittler verhältnismäßig günstiger Kredite waren. Sinzendorf verwies dabei explizit auch auf die notwendige Erhaltung des Archivs durch einen neuen Bau, nicht zuletzt im Interesse der Länder: „Es ist Stat und Land kündig, wie schlecht die mir allergnädigst anvertraute hin- und wieder zersträhete Kay(serliche) Geheimbe Hofcanzley und Registraturen von fewer und anderen schaden verwahret, also daß keine Landherrschaft oder Communitet sein kann, die nicht ihrer Archiven und schrifftlichen Instrumenten und Notturfften bessere Behaltnussen haben wirdet“. Aufgrund der akuten Gefährdung habe der Kaiser selbst Geldmittel bewilligt, die jedoch nicht ausreichen würden. Ähnlich wie bei der Errichtung bzw. Unterhalt der heutigen Nationalbibliothek (Prunksaal) warb man also bei den österreichischen Ländern um zusätzliche Geldmittel für den Bau, „weilen dergleichen Canzley-gebäu, Archiv- und Behaltnus-orth zu aller Österreich(isch)en Erbländer besten“. Die „Beisteuer“ sollte über drei Jahre verteilt sein, was als ein Indiz für die veranschlagte Bauzeit gesehen werden kann. Das Schreiben vom 16. Dezember 1716 an seinen Standesgenossen zur Vermittlung bei den Ständen unterschrieb Sinzendorf eigenhändig.
Carl Gustav Heraeus verweist in einem 1718/1719 erschienen Werk noch auf die Errichtung des Baus („surgit“) nahe der Hofburg. Die Fertigstellung des Baus konnte für 1720/1721 weder im Wienerischen Diarium, noch im Tagebuch des Kaisers selbst ermittelt werden, auch wenn dieser den Hofkanzler im März und April 1721 auch mit Verweis auf hiesige Angelegenheiten nannte. Ein Indiz für den Bezug und somit Fertigstellung der Räumlichkeiten der durch eine Instruktion reformierten Hofkanzlei könnte hier das Aufscheinen der Staatskanzlei im Staatsschematismus von 1721 (gedruckt 1720) sein, zumal diese in den folgenden Ausgaben nur sporadisch aufscheint. Der Bau konnte letztlich nicht, wie von Sinzendorf erhofft, das Archiv der Hofkanzlei vor einem „Feuer“ bewahren. Die Umsiedlung der Bestände in den Justizpalast bedeutete die Beschädigung und Vernichtung eines Großteils der Dokumente bei dessen Brand 1927, ein Verlust, den vorliegender Plan (wohl) des Hofkanzleigebäudes illustrieren kann. Dem Stück sind Schreiben über nicht eingegangene, in Aussicht gestellte Gelder der Länder sowie noch nicht bezahlte Rechnungen von Handwerkern beigelegt (1726, 1731).
Nicht nur die Gebäude der zentralen Institutionen der Habsburgermonarchie wurden neu errichtet, sondern diese selbst auch neu eingerichtet. 1716 wurde die Geheime Finanzkonferenz als Koordinierungsstelle für Finanzfragen ins Leben gerufen, ebenso wie die Universalbankalität als zentrale „Staatskassa“ 1715. 1717 erhielt die Hofkammer eine neue Instruktion, jene der Böhmischen Hofkanzlei 1719 bot gleichsam die Vorlage für die 1720 beschlossene Instruktion der Österreichischen Hofkanzlei. Ende 1721 folgte eine Ordnung für die Geheime Konferenz, dem zentralen Beratungsorgan des Kaisers, in Anlehnung an die Instruktion von 1709. Ziele dieser Verwaltungsreformen Karls VI. waren die Gewinnung eines Überblicks über vorhandene Geldmittel sowie strukturelle Einsparungen bei Reduzierung des Personals. Zudem mussten die neu gewonnenen Territorien aus dem Spanischen Erbfolgekrieg und den Konflikten mit dem Osmanischen Reich (z.B. Österreichische Niederlande, Neapel, Sizilien, Banat usw.) in die Habsburgermonarchie, die in dieser Zeit ihre größte Ausdehnung erfuhr, mit Rücksicht auf lokale Strukturen eingegliedert werden. Für die Verwaltung der ehemals spanischen Länder wurden dazu in diesen Jahren Räte in Wien angesiedelt, insbesondere der Spanische Rat wurde ob seiner Geldgebarung heftig kritisiert.
In der Instruktion der Hofkanzlei von 1720 wurden Zuständigkeiten, Arbeitszeiten, Dienstvoraussetzungen bzw. -pflichten (Qualifikation, Verschwiegenheit, Unparteilichkeit usw.) und Aufgaben des Personals geregelt. Wichtig war auch die Teilung der Agenden zwischen einem ersten und zweiten Hofkanzler. Dabei verblieben Fragen der habsburgischen Familienpolitik oder der Außenpolitik beim ersten Hofkanzler, dem zweiten Hofkanzler wurden „Provincialia“ sowie Justizangelegenheiten zugewiesen. Diese Funktion übernahm Georg Christoph Graf Stürkgh (1666–1739), der nicht von ungefähr 1721 auch eine Rangerhöhung in Form des Reichsgrafenstandes erhielt. Damit war ihm der Umgang mit den Landständen und damit den einflussreichsten Standespersonen die habsburgischen Länder erleichtert, da die Hofkanzlei eine wichtige Koordinierungsstelle im Kontakt mit diesen war, etwa wenn es um Bewilligungen von Steuern oder Geldmitteln ging. In einer eigenen Instruktion wurden die Aufgaben der Registratur bzw. des Registrators formuliert (1727), dessen notwendige Verschwiegenheit betont sowie der achtsame Umgang mit den Archivdokumenten geregelt wurde. Von inhaltlich bzw. historisch besonders wertvollen Stücken sollten Abschriften angefertigt und in der Hofkanzlei verwahrt werden, um dort die wichtigen Materialien gebündelt vorliegen zu haben. Die Bündelung aller Dokumente selbst in einem „Geheimen Hausarchiv“ 1749 durch Maria Theresia war dann der nächste logische Schritt.
Stefan Seitschek
Literatur & Signatur:
- AVA, FA Harrach Fam. in spec 114 (1639-1738), fol. 267-268 (16.12.1716)
- AVA, Inneres, Kt. 290: III A 2 Hofkanzleigebäude (10. Juli 1731)
- AVA, Nachlässe, Trimmel, Materialien zur Geschichte der Vereinigten Hofkanzlei, X. Abschnitt, Regierungsepoche Kaiser Carl des VI. 1711 bis 1740, fol. 283-338.
- AVA, Adel, Reichsadelsakten Stürgk, Georg Christoph, Grafenstand (04.11.1721) u. Palatinat (04.11.1721)