Die „Affaire Matisse“

Brief von Matisse

Das Archivale des Monats Oktober 2024

Im Frühjahr 1943 nahm in Nizza ein missglückter Kunstankauf seinen Anfang, der die österreichischen Kulturbehörden über mehrere Jahre hinweg beschäftigte und bis heute nicht aufgeklärt ist. Im Zentrum steht Henri Matisse (1869-1954), einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts und Wegbereiter der Moderne.

Mit ihm konnte der deutsche Kunsthistoriker und damalige Kustos an der Albertina, Bernhard Degenhart, ein persönliches Treffen organisieren. Beim Besuch im Atelier des Künstlers wählte Degenhart insgesamt sechs großformatige Zeichnungen zum Ankauf für die Albertina aus, die er wie folgt beschrieb: „Es handelt sich um spaete Arbeiten Matisses, die von einer klassischen Schoenheit sind; die Auswahl wurde in einzigartiger Weise beguenstigt durch die Moeglichkeit (…) selbst aus einer sehr grossen Zahl von Blaettern auszuwaehlen und dadurch nur das Schoenste und Abgeklaerteste zu nehmen.“

Brief von Matisse
Die im Akt enthaltene Korrespondenz umfasst mehrere signierte Briefe von Henri Matisse an Ludwig Berg, den mit der Angelegenheit von Wien aus befassten Beamten beim Generalreferat für Kunstförderung des Reichsstatthalters. Die Übersetzung der beiden Briefe finden Sie unterhalb des Textes.

Daraufhin wurden über das Generalreferat für Kunstförderung des Reichsstatthalters in Wien insgesamt 6.000 Reichsmark (20.000 Francs) zur Verfügung gestellt, die dem Künstler ausnahmsweise noch vor Übergabe der Werke ausbezahlt werden sollten. Doch die in den Akten des Unterrichtsministeriums erhaltene Korrespondenz zwischen dem zuständigen Beamten des Generalreferats, Dr. Ludwig Berg, und Matisse legt nahe, dass schon im Sommer 1943 Schwierigkeiten beim Geldtransfer auftraten.

Der in diesen Jahren von schwerer Krankheit gezeichnete Künstler bemühte sich offenbar erst im Herbst 1943 – einige Zeit nach Erhalt der vereinbarten Summe – um den Versand seiner Zeichnungen, was aber an bürokratischen Hürden im besetzten Frankreich scheiterte. Deshalb wurde er schließlich angewiesen, seine Werke aus Nizza an die Pariser Niederlassung der Speditionsfirma Schenker zu schicken, welche sie von Paris mit einem Sammeltransport nach Wien bringen sollte. Als die Ankunft der Bilder trotzdem weiter auf sich warten ließ, war man in Wien schon nicht mehr gut auf den Vermittler Degenhart wie auch auf Henri Matisse zu sprechen. „Daß dieses [Unternehmen] aber solchen Schwierigkeiten begegnen würde, konnten wir alle nicht ahnen – sonst hätten wir die Finger davon gelassen“, so Degenhart konsterniert in einem Brief an Ludwig Berg 1944.

Skizzen der Bilder von Matisse
Skizzen der Zeichnungen, die von Bernhard Degenhart in Matisses Atelier ausgewählt wurden.

Ende April 1944 dürften die Matisse-Zeichnungen schließlich doch noch über einen französischen Spediteur von Nizza aus an die Firma Schenker in Paris gelangt sein. Aber in Wien angekommen sind sie nie: Nach Kriegsende leitete die Albertina erneute Erhebungen zum Verbleib der Bilder ein, die sich auch im Juni 1947 noch immer in Frankreich befanden. Die Museumsdirektion bemühte sich um Anerkennung der Werke als österreichisches Eigentum durch die französischen Behörden und den Künstler selbst, doch verliert sich hier in den Akten des Archivs der Republik endgültig ihre Spur.

Die Gemäldesammlung und die Grafische Sammlung der Albertina beherbergen heute insgesamt 31 Werke von Henri Matisse, jene sechs Zeichnungen befinden sich allerdings nicht darunter.

Isabella Riedel

Behördliches Schreiben Matisse
Brief von Bernhard Degenhart an Ludwig Berg, datiert 08.05.1943.

Signaturen
- AT-OeStA/AdR UWK BMU Kunst Akten SM 334
- AT-OeStA/AdR UWK BMU Kunst Akten AR 142 Zl. 28711/43

Literatur
- Jack Flam [Hg.], Henri Matisse 1869-1954, Köln 1994.

 

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Übersetzungen der Briefe

6. September 1943
 

Sehr geehrter Herr!

Ich hoffe, dass Sie meinen Brief vom 12. August erhalten haben, der sich mit Ihrem Brief vom 4. August überschnitten hat, in dem ich Sie über meine derzeitige Situation bei
Ihnen informiert habe. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich Ihnen noch einmal mitteilen, dass ich immer noch auf die fragliche Zahlung warte und dass meine Bank nichts mehr davon gehört hat. Um die Sicherheit dieses Geldes zu gewährleisten, bitte ich Sie, auf Ihrer Seite Informationen darüber einzuholen, damit wir beruhigt sind.

Ich freue mich darauf, von Ihnen zu hören und verbleibe mit freundlichen Grüßen.


 

20. Dezember 1943
 

Sehr geehrter Herr,

ich habe Ihren Brief vom 30. November erhalten und schreibe mit derselben Post an die Firma Schenker in Paris, um sie zu fragen, ob sie den Versand übernehmen kann. Sobald ich ihre Antwort erhalte, werde ich alles Nötige veranlassen und Sie über die Angelegenheit auf dem Laufenden halten.

Was die Kosten des Versands und der Versicherung betrifft, so werde ich gemäß Ihrem Brief den Betrag bis zur Grenze begleichen und Sie werden sich auf der anderen Seite der Grenze darum kümmern.

In der Hoffnung, dass sich alles zum Besten wendet, verbleibe ich mit freundlichen
Grüßen.