Von Ebensee nach Aotearoa: Kaiserliche Gämsen auf hoher See
Archivale des Monats September 2024
“… His Imperial Majesty the Emperor of Austria was graciously pleased to command that six Chamois does and two bucks should be taken from the Imperial Crown lands, and placed at the disposal of the Government of New Zealand…”
Im März 1907 gelangte an Bord des Dampfers „Turakina“ eine tierische Abordnung der österreichisch-ungarischen Monarchie in das britische Dominion Neuseeland (Aotearoa auf Maori): Acht Gämsen aus kaiserlichen Jagdrevieren hatten die lange Reise über die Weltmeere unbeschadet hinter sich gebracht. Wie kam es zu dieser Gämsenfahrt auf hoher See?
Anlässlich des Aufenthalts des Kreuzers „SMS Panther“ im Pazifik im Jahre 1905 waren dem Kommandanten Ludwig Ritter von Höhnel einige Tiere der neuseeländischen Fauna für die kaiserliche Menagerie in Schönbrunn in Aussicht gestellt worden. Das „Department of Tourist and Health Resorts“ der britischen Kolonie wünschte im Gegenzug in den Besitz einiger Gämsen (Rupicapra rupicapra) zu gelangen, was der Kaiser auf Antrag des Obersthofmeisteramtes genehmigte. Darauf erging nach Verständigung der Generaldirektion der Allerhöchsten Fonde der Auftrag an die Hofjagdleitungen Ebensee und Neuberg, Gämsen für den Versand nach Neuseeland einzufangen. Aufgrund der in den Jahren 1899 und 1900 gemachten Erfahrungen beim Einfang von Gämsen für die Menagerie Schönbrunn entschied man sich dafür, nur junge Gämsen („Jährlinge“) einzufangen, um diese über längere Zeit an Gefangenschaft und Ernährung zu gewöhnen. Im Laufe des Frühjahrs 1906 wurden in der Hofjagd Ebensee 22 Gämsen eingefangen, von denen dann acht (sechs Gaisen und zwei Böcke) für den Transport nach Neuseeland ausgewählt wurden.
Der Menagerieinspektor Alois Kraus und der Tierwärter Josef Nowacek begleiteten die Tiere im Jänner 1907 in eigens angefertigten Transportkäfigen bis nach London, wo sie einem Vertreter des High Commissioner von Neuseeland übergeben wurden. Einige Tage zuvor waren bereits die für die Menagerie Schönbrunn bestimmten neuseeländischen Tiere – Tuatara (Brückenechsen), Wekarallen, Keas, Kiwis, Paradiesgänse und Australenten – in London angelangt. Nach einem kurzen Aufenthalt in der englischen Metropole begann für die Gämsen die Seereise in den Pazifik, am 13. März 1907 erreichte der Dampfer „Turakina“ schließlich Wellington auf der neuseeländischen Nordinsel. Von dort brachte drei Tage später eine weitere Dampferfahrt die Gämsen auf die Südinsel, wo die Tiere schließlich nach einer 60-tägigen Quarantäne an den Hängen Mount Wakefield im heutigen Aoraki/Mount Cook Nationalpark in Freiheit gesetzt wurden. Die Akklimatisierung der Gämsen verlief – vielleicht auch auf Grund der Nähe des Franz Josef-Gletschers - ohne große Schwierigkeiten, sodass der Chief Guide Peter Graham im November 1910 melden konnte, dass sich die Tiere in „splendid condition“ befänden, „and are apparently well acclimatised and quite satisfied with their new home“. Im Jahr 1913 wurden drei weitere Gämsen aus den kaiserlichen Jagden zur Blutauffrischung nach Neuseeland gebracht. Die heutige neuseeländische Gämsenpopulation von rund 18.000 Tieren gehen somit zur Gänze auf österreichische Urahnen aus den kaiserlichen Hofjagden zurück!
Andreas Titton
Signaturen:
- HHStA MdÄ AR F13-34-1-34
- HHStA PFF GDPFF SR 86a-2
Literatur:
- Natália Martínková, Barbora Zemanová, Andreas Kranz, Mabel D. Giménez, Petra Hájková, Chamois introductions to Central Europe and New Zealand, in: Folia Zoologica, 61(3–4, 2012) S. 239-245.
https://doi.org/10.25225/fozo.v61.i3.a8.2012