Allgemein "Die letzten Tage Österreichs in der Bukowina"

Am 21. Jänner 1919 langte im Deutschösterreichischem Staatsamt des Innern ein Bericht ein, der unter der Zahl 2 575 im dortigen Hauptprotokoll eingetragen wurde. In der nebenliegenden Spalte vermerkte der Registraturbeamte: "Landespräsident Dr. Josef Graf von Ezdorf, derzeit in Linz, Protokoll über 'Die letzten Tage Österreichs in der Bukowina', 1 Beilage (Protokoll)".

Auf knapp 16 Seiten werden dort die Ereignisse von der Erlassung des so genannten Völkermanifests am 16. Oktober 1918 bis zur Übernahme der Regierungsgewalt durch rumänische und ukrainische Vertreter am 6. November 1918 geschildert.

Der Verfasser, Josef Graf von Ezdorf (*14. Februar 1879 in Wien, 12. Dezember 1950 in Wien), war der letzte k.k. Landespräsident der Bukowina. Ezdorf, war noch vor seiner Promotion sub auspiciis imperatoris als Konzeptspraktikant bei der niederösterreichischen Statthalterei in den Staatsdienst eingetreten und alsbald nach Czernowitz versetzt worden (1905). In der dortigen Landesregierung durchlief er verschiedene Verwendungen und wurde nach mehreren Beförderungen schließlich am 24. April 1917 – noch im "Prager Exil", wohin sich die österreichischen Behörden nach der Eroberung von Czernowitz und weiten Teilen der Bukowina durch die Russen im August 1916 geflüchtet hatten – mit deren Leitung betraut. Nach Abschluss der Friedensverträge (Sowjetrussland, Ukraine, Rumänien) im Frühjahr 1918 und der Rückkehr der österreichischen Behörden wurde er am 24. April 1918 dann auch formell zum k.k. Landespräsidenten der Bukowina ernannt. Nach dem Krieg trat er auf eigenes Ansuchen in den Ruhestand und arbeitete fortan in einer Rechtsanwaltskanzlei. In der Zeit 1934 bis 1938 zählte er zu den prominenten Mitgliedern der monarchistischen/legitimistischen Bewegung und wurde nach dem "Anschluss" für drei Monate im Polizeigefangenenhaus Elisabethpromenade ("Liesl") festgesetzt.

In dem nach seiner Rückkehr im Dezember 1918 verfassten Bericht zeigt sich eindringlich die in den späten Oktobertagen immer weiter um sich greifende Unsicherheit in der von Wien abgeschnittenen Verwaltung bei gleichzeitiger Erosion der öffentlichen Ordnung. Während Ezdorf in Unkenntnis der Vorgänge "im Westen" zu Beginn noch seine Bemühungen um die Bewahrung der Bukowina als "österreichischen Bundesstaat" schildert, engen sich seine Handlungsmöglichkeiten im Verlauf der folgenden Tage und im Fortschreiten der Ereignisse zusehends ein. Öffentliche Kundgebungen, Plünderungen, bewaffnete Auseinandersetzungen, Lebensmittelknappheit, der Verlust der Autorität der staatlichen Stellen und immer wieder die Bemühungen um eine geordnete Regierungsübergabe prägen die Aufzeichnungen, an deren Ende der Einmarsch der rumänischen Truppen in Czernowitz und die Abreise von Ezdorf nach Wien stehen. Beigeschlossen ist ein Protokoll, das die Übergabe der Regierungsgewalt an die nur wenige Tage im Amt befindlichen "Regierungskommissäre" Omelian Popowicz und Dr. Aurel Ritter von Onciul dokumentiert.

Stefan Mach

Signaturen:
Bericht Ezdorf: AdR, BKA-Inneres, 22/Bukowina, 2 575/1919 Fotografie Ezdorf: AdR, Reichsjustizministerium, Personalakten, Josef Ezdorf