Allgemein Prager Frühling
Archivale des Monats August 2018
Die österreichische Regierung verfolgte die Entwicklungen 1968 in der CSSR mit Sorge, da eine mögliche Niederschlagung der als "Prager Frühling" bezeichneten Reformbewegung durch Warschauer Pakt-Truppen auch die eigene Bedrohung erhöhte. Doch dürfte man die Lage nach einer vermeintlichen Einigung der "Warschauer Fünf" (UdSSR, Polen, Bulgarien, Ungarn, DDR) mit der tschechoslowakischen Spitze Anfang August falsch eingeschätzt haben, denn als es in der Nacht auf den 21. August 1968 tatsächlich zum Einmarsch in die CSSR kam, waren die wichtigsten Minister wie auch der Bundespräsident auf Urlaub. Nachdem knapp nach Mitternacht erste Meldungen über die beginnende Invasion eingelangt waren, ordnete Brigadier Freihsler in Vertretung von Verteidigungsminister Prader, der in seinem Urlaubsdomizil am Erlaufsee wie Bundeskanzler Klaus in Wolfpassing über keinen Telefonanschluss verfügte, die Alarmierung der für den Notfallplan "Aktion Urgestein" vorgesehenen Kommanden an. Der Kanzler gab um 7 Uhr eine erste Erklärung im Radio ab, wobei er die strikte Wahrung der Neutralität betonte und eine Verurteilung der Invasion vermied. Nachdem der sowjetische Botschafter Podzerob im Bundeskanzleramt vorgebracht hatte, dass die UdSSR größere militärische Maßnahmen als "unfreundlichen Akt" sehen würde, wurde bei der außerordentlichen Ministerratssitzung um 13:25 Uhr die vorsichtige Haltung Österreichs beibehalten und die "Aktion Urgestein" gestoppt. Letztlich war es aber weniger diese Strategie, sondern eher der ausbleibende Widerstand in der CSSR, der Schlimmes verhinderte. Ein Einmarsch der Warschauer-Pakt-Soldaten wäre bei einem Zurückdrängen der tschechoslowakischen Truppen auf österreichisches Gebiet wohl nicht zu verhindern gewesen.
Dieter Lautner
Zitat: ÖSTA/ADR, Ministerratsprotokolle, Nr. 91a, 21. August 1968