Trauer um Rudolf Jeřábek
Das Österreichische Staatsarchiv trauert um seinen jahrzehntelangen Mitarbeiter und ehemaligen Direktor des Archivs der Republik, Hofrat Dr. Rudolf Jeřábek. Er ist am 14. September 2023 im 67. Lebensjahr nach einer längeren schweren Erkrankung verstorben.
Rudolf Jeřábek wurde am 31. Dezember 1956 in Wien geboren. Nach der Matura 1975 studierte er an der Universität Wien Geschichte und Kunstgeschichte und promovierte mit einer kriegsgeschichtlichen Dissertation über die Brussilowoffensive 1916. Zusätzlich zu seinem Doktoratsstudium absolvierte er von 1981 bis 1983 den 56. Ausbildungskurs am Institut für österreichische Geschichtsforschung.
Im Jahr 1985 trat Jeřábek in das Österreichische Staatsarchiv ein. Bald zeichnete den jungen Archivar in der Abteilung Allgemeines Verwaltungsarchiv eine hohe Fachkompetenz bei den von ihm betreuten Beständen aus. Dazu kam die blendende Kenntnis der Gabelsberger Kurzschrift, die seit den späten 1930er Jahren nicht mehr gelehrt wurde, aber bei vielen Archivalien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitet war. Dieses Wissen war einer der Gründe, weshalb Jeřábek ans ÖStA geholt wurde und es sollte ihm im Laufe der Zeit in der österreichischen Archivarslandschaft ein Alleinstellungsmerkmal verleihen. Bereitwillig stand er damit sowohl Kolleginnen und Kollegen als auch Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung. Ein hohes Maß an Hilfsbereitschaft war überhaupt eines der Kennzeichen, das Rudolf (Rudi) Jeřábek auszeichnete und ihn zu einem weit über das Haus hinaus bekannten und geschätzten Kollegen machte.
Nach drei Jahren wechselte er 1988 vom damals noch in der Wallnerstraße untergebrachten Verwaltungsarchiv in das junge Archiv der Republik und bezog im eben fertiggestellten neuen Zentralgebäude in der Nottendorfer Gasse sein Büro. Ab 1989 war er Stellvertretender Leiter des Archivs der Republik, bis er im Oktober 2020 dessen Leitung übernahm.
Seit Beginn seiner Tätigkeit im ÖStA war er in die Edition der Ministerratsprokolle der Ersten Republik miteingebunden, was sich rasch zu einer archivfachlichen und quellenkundlichen Supervision weiterentwickelte. Daher war es nur folgerichtig, dass er bei der Mitte der 1990er Jahre begonnenen Editionsreihe der Ministerratsprotokolle der Zweiten Republik als einer der Mitherausgeber fungierte, bis er nach 16 Bänden und dem mit Ende 2022 erfolgten Übertritt in den Ruhestand auf eigenen Wunsch aus dem Herausgebergremium ausschied. Dem ÖStA stand er als Konsulent jedoch weiterhin mit seinem breiten Wissen zur Verfügung. Dieses spiegelte sich auch in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen wider. Die Beschäftigung mit militärhistorischen Themen des 19. und 20. Jahrhunderts gehörte dabei zu seinen bevorzugten Forschungsfeldern. Zu nennen wären etwa seine vielbeachtete Biographie über den glücklosen Heerführer des Serbienfeldzugs 1914, Oskar Potiorek (1991) oder seine zusammenfassende Studie zum militärischen Potential und zum Kriegsverlauf Österreich-Ungarns im Band XI des von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Monumentalwerks über die Habsburgermonarchie 1848 bis 1918 (2016). In einer letzten, aus seiner Feder erschienen Studie, befasste er sich mit der Decodierung der Decknamen der Truppenverbände und höheren Kommanden der österreichisch-ungarischen Streitkräfte – eine harte Nuss, die er mit seinem Ehrgeiz noch zu knacken wusste (2022). Doch erstreckte sich seine Publikationstätigkeit auch auf andere Themen. Genannt seien hier lediglich seine drei Aufsätze zur Geschichte der staatlichen Archive in den Jahren 1938 bis 1948 in dem Band 54 der Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs (2010) mit dem Titel Österreichs Archive unter dem Hakenkreuz.
Jeřábeks Leidenschaft und sein Eifer für die Geschichte waren unermüdlich. Sein akribischer Forschungseifer und seine Vielseitigkeit zeichneten ihn aus. Er war nicht nur Autor, sondern stellte sein Wissen auch lange Jahre als Lehrbeauftragter an der Universität Wien Studierenden zur Verfügung. Ebenso war er historischer Sachverständiger in Kriminalfällen, unter anderem bei den Bekennerschreiben rund um die aufsehenerregenden Briefbombenattentate in den 1990er-Jahren. Vor allem aber war er ein liebenswerter und hilfsbereiter Kollege im Archiv. Er war stets dazu bereit, sein Wissen, das er niemals monopolisierte, sondern gerne mit anderen teilte, zur Verfügung zu stellen. Auch das machte das Besondere an seiner Persönlichkeit aus.
Über sich selber machte er niemals viel Aufhebens. So war es für ihn typisch, dass er nicht viel über seine Erkrankung sprach, von der er sich kaum etwas anmerken ließ. Nur seine allerengsten Vertrauten im Archiv wussten darum – und seine Gattin Valentina, die ihn aufopferungsvoll umsorgte und ihm mit viel optimistischer Empathie bis zuletzt viele schöne, gemeinsame Stunden schenkte.
Helmut Wohnout