Leopold Auer (1944–2024)

Leopold Auer im Haus-, Hof- und Staatsarchiv im Jahr 2017
Leopold Auer im Speicherbereich des Haus-, Hof- und Staatsarchivs. 

Am 6. Dezember 2024 verstarb der langjährige Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Hon. Prof. Dr. Leopold Auer in Wien. Der in Wien geborene Auer war ursprünglich ausgebildeter Mediävist, er dissertierte 1968 mit einer Arbeit zum Thema „Der Reichskriegsdienst des Klerus unter den sächsischen Kaisern“. Den Kurs am Institut für österreichische Geschichtsforschung absolvierte er mit Erfolg. Die Institutsarbeit widmete sich dem Thema „Eine österreichische Briefsammlung aus der Zeit Friedrichs des Streitbaren“. Zu seinen Kurskollegen gehörten u.a. Elisabeth Cornides, Peter Csendes, Walter Koch und Winfried Stelzer. Noch im Jahr 1968 trat Auer in den Dienst des Österreichischen Staatsarchivs ein, hier wurde er der Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv zugeteilt, in der er bis zu seiner Pensionierung Dienst leistete. 1970 absolvierte er von Jänner bis März den Stage technique international d’archives im französischen Nationalarchiv. Diese drei Monate und die Erfahrungen mit dem französischen Archivwesen haben ihn sehr geprägt und darüber hinaus auch einige lebenslange Freundschaften mit Kolleginnen und Kollegen ergeben. 1975 wurde er zum Archivoberkommissär ernannt, 1980 erfolgte die Ernennung zum Rat, 1983 die zum Oberrat. 1996 wurde er schließlich zum Hofrat ernannt. Mit Wirksamkeit vom 8. November 1999 wurde Leopold Auer zum Direktor des Haus-, Hof und Staatsarchivs ernannt. Am 1. Dezember 2008 nach vierzig Jahren im Dienst des Österreichischen Staatsarchivs trat er in den Ruhestand.

Nach seinem Eintritt in das Haus-, Hof- und Staatsarchiv wurden ihm die umfangreichen Bestände der Reichsarchive zugeteilt. Diese Bestände, die die aktenmäßige Hinterlassenschaft des alten Reiches bis 1806 darstellen, umfassen im Speicher des Archivs drei Stockwerke. Auer erwarb sich durch seine benutzerfreundliche Art rasch große Beliebtheit bei den Forscherinnen und Forschern. Durch sein umfassendes Wissen und seine große Begeisterung für die wissenschaftliche Forschung wurde er rasch zu einem zentralen Anlaufpunkt für alle an der Reichsgeschichte Interessierten, zu der er auch selber einiges publizierte. Seine Bemühungen um eine bessere Erschließung für die Akten des kaiserlichen Reichshofrates gipfelten in einem bis heute laufenden Verzeichnungsprojekt zur Erschließung dieser Akten, das er gemeinsam mit Wolfgang Sellert (Göttingen), angestoßen und verankert hatte. Dies ist zweifelsohne sein bleibendes archivisches Vermächtnis.

Ein weiteres Aufgabengebiet, das im Österreichischen Staatsarchiv der 1970er Jahre sehr wichtig wurde, waren die Archivverhandlungen mit Jugoslawien. In diesem Zusammenhang wurde er von der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Es ist schön, dass er seine Erlebnisse und Erfahrungen, die er dabei gemacht hat, in einem Vortrag auf der Tagung „Archiv.Verhandelt“ im Jahr 2022 mit uns geteilt hat. Die schriftliche Fassung seines Vortrages konnte er noch rechtzeitig abschließen, sie wird im Tagungsband, der 2025 erscheinen wird, enthalten sein.

Leopold Auer war, wie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Haus-. Hof- und Staatsarchivs, mit dem Archivgebäude am Minoritenplatz verbunden und setzte sich stets für diesen Standort ein. Hervorzuheben ist hierbei, dass er als Direktor von archivischer Seite den Umbau und die Renovierung des Archivs zwischen 1999 und 2003 leitete, der es erst ermöglichte, dass das Österreichische Staatsarchiv heute mit Stolz dieses Gebäude sein Eigen nennen kann. Die Jahre des Umbaus und der Aussiedlung, die mit dem Beginn seiner Direktionszeit zusammenfielen, waren nicht immer einfach, aber er verstand es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren und darüber hinaus trotz der erschwerten Auslagerungssituation einen Lesesaalbetrieb zu organisieren.

Leopold Auer widmete sich Zeit seines beruflichen Lebens der Arbeit im Internationalen Archivrat (ICA). Dies war sicherlich seiner Teilnahme am Stage 1970 geschuldet. 1976 wurde er korrespondierendes Mitglied des EDV-Komitees des Internationalen Archivrats, er war Mitglied der dortigen Programmkommission, danach Mitglied des Komitees für Rechtsfragen. Auch wirkte er als Redakteur der Publikationen des ICA. Für seine internationale Tätigkeit wurde er mit dem französischen Ordre des arts et des lettres ausgezeichnet. 2004 wurde er beim Internationalen Archivkongress in Wien zum Ehrenmitglied des Internationalen Archivrats ernannt. An weiteren Funktionen außerhalb seiner archivischen Tätigkeiten ist seine Wahl in die Kommission für Rechtsgeschichte der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 2004 zu nennen, er war Vorsitzender der Mitgliederversammlung des Internationalen Instituts für Archivwissenschaft in Marburg/Maribor und wurde 1998 Vorstandsmitglied des Verbands österreichischer Archivare. 2015 erhielt er die Medaille für Verdienste um das tschechische Archivwesen.

Nicht zuletzt wird uns Leopold Auer auch als Lehrer am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Erinnerung bleiben. Seit 1978 trug er dort die Schriftenkunde der Neuzeit vor. Er war dabei ein kluger, freundlicher und geduldiger Lehrer, dem es wirklich ein Anliegen war, den Studierenden das Fach näher zu bringen. Generationen von Archivaren und Historikerinnen vermittelte er hier die Kenntnis des Lesens frühneuzeitlicher Schriften.

Leopold Auer hinterlässt eine große Lücke. Wir werden seine Besuche in „seinem Haus“ am Minoritenplatz vermissen. Sein feiner, hintergründiger Humor und sein unglaubliches Wissen um das Archiv und seine Bestände sind mit seinem Tod erloschen, wir aber werden ihn nicht vergessen.

Thomas Just

 

Foto: Severin Dostal