Geschichte des Österreichischen Staatsarchivs
Zur Zeit der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und auch während der 1. Republik gelang keine organisatorische Zusammenfassung der selbständigen Wiener Zentralbehördenarchive.
Der „k. k. Archivrat“ (gegründet 1894) war im Grunde nur ein beratendes Gremium des k. k. Ministeriums des Innern mit vertieften Kompetenzen für den Archivalienschutz in „Cisleithanien“. Für die „gemeinsamen“ (k. u. k.) Archive – das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, das Kriegsarchiv und das „Reichsfinanzarchiv“ (Hofkammerarchiv) – besaß er keine Zuständigkeit.
Der nach dem 1. Weltkrieg ventilierte Plan, nach preußischem Vorbild eine Generaldirektion der staatlichen Archive zu errichten, zerschlug sich noch in den 1920er Jahren.
Nur über den Umweg des Archivalienschutzes (1. und 2. Archivamt und Oberste Archivleitung) und eine „Archivfachmännerkonferenz“ (Archivbeirat) ließ sich ein gewisser Zusammenhalt in der völlig zersplitterten Archivlandschaft der Zwischenkriegszeit herstellen. Die führende Rolle spielte dabei das Haus-, Hof- und Staatsarchiv.
Das Reichsarchiv Wien 1940–1945
Erst nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurden die Bemühungen um eine Zentralisierung des Archivwesens wieder intensiviert. Mit § 9 (1) der 6. Verordnung über die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen des Reichsstatthalters in Österreich vom 11. Januar 1940 (RGBl. 1940/I, S. 54) wurde ein direkt dem Reichsminister des Innern unterstelltes „Reichsarchiv Wien“ ins Leben gerufen.
Es bestand aus dem
- Haus-, Hof- und Staatsarchiv,
- dem Hofkammerarchiv,
- dem Finanzarchiv,
- dem Unterrichtsarchiv und
- dem Archiv des Innern und der Justiz.
Die Führung des Reichsarchivs Wien übernahm der Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs Ludwig Bittner (1877–1945).
Lediglich das remilitarisierte und in die deutsche Heeresarchivorganisation eingegliederte Kriegsarchiv (Heeresarchiv Wien) und das Verkehrsarchiv, das man der Reichsbahnverwaltung zuordnete, blieben außerhalb der neuen Organisationsstruktur.
Das Österreichische Staatsarchiv seit 1945
Die rechtliche Grundlage für die Fortführung der seit 1940 bestehenden Organisationsstruktur nach der Befreiung Österreichs 1945 bildete das Behördenüberleitungsgesetz vom 28. Juli 1945 (StGBl. Nr. 94/1945), das in § 10 die Errichtung eines Österreichischen Staatsarchivs als nachgeordnete Dienststelle des Bundeskanzleramtes vorsah.
Das Österreichische Staatsarchiv bestand zunächst aus den Abteilungen:
- Haus-, Hof- und Staatsarchiv („Staatsarchiv I“)
- Allgemeines Verwaltungsarchiv (entstanden durch Zusammenlegung des Staatsarchivs des Innern und der Justiz und des Unterrichtsarchivs)
- Finanz- und Hofkammerarchiv
- Kriegsarchiv („Staatsarchiv II“)
Das 1946 zunächst dem Bundesministerium für Verkehr unterstellte „Archiv für Verkehrswesen“ wurde nach seiner Überführung in das Staatsarchiv 1947 dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv zugeschlagen, 1954 aber als eigene Archivabteilung eingerichtet.
Archivalienschutz
Das 1947 vorerst im Organisationsrahmen des Österreichischen Staatsarchivs wiedererrichtete Archivamt zur Wahrnehmung des Archivalienschutzes wurde 1954 als eigene Behörde direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt.
Die Generaldirektoren des Österreichischen Staatsarchivs führten das Archivamt seitdem in Personalunion, Archivare aus den Abteilungen des Staatsarchivs fungierten als Referenten des Archivamts.
Strukturveränderung 1983
Zu einer einschneidenden Strukturveränderung im österreichischen Bundesarchivwesen kam es 1983 mit der Schaffung der Abteilung Archiv der Republik (und Zwischenarchiv), an das die übrigen Abteilungen des Staatsarchivs das Behördenschriftgut der 1. Republik, der NS-Zeit und der 2. Republik abzutreten hatten. Die Bestände des aufgelösten Verkehrsarchivs wurden zwischen dem Archiv der Republik und dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv aufgeteilt.
Die Abteilungen Allgemeines Verwaltungsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kriegsarchiv und Finanz- und Hofkammerarchiv wurden mit Errichtung des Archivs der Republik zu „historischen Archiven“.
Das von ihnen verwahrte Archivgut umfasst also mit einigen charakteristischen Ausnahmen nur die Zeit der Habsburgermonarchie bis zum Ende des 1. Weltkrieges. Das archivreife Schriftgut der abgabepflichtigen Bundesdienststellen übernimmt heute nur mehr die Abteilung Archiv der Republik.
Standortvielfalt
Der organisatorischen Zusammenfassung 1940 und 1945 folgte zunächst keine räumliche Zusammenführung der über ganz Wien verstreuten Abteilungen.
Aus in den 1950er Jahren bereits sehr konkreten Plänen für den Neubau eines Zentralarchivgebäudes wurde schließlich nichts, und so mussten bis Ende der 1980er Jahre die Standorte Wien I, Minoritenplatz 1 (Generaldirektion und Haus-, Hof- und Staatsarchiv), Wien I, Johannesgasse 6 (Hofkammerarchiv), Wien I, Wallnerstraße 6 (Allgemeines Verwaltungsarchiv), Wien I, Himmelpfortgasse 6 (Finanzarchiv), Wien VII, Stiftgasse 2-2a (Kriegsarchiv), Wien III, Aspangstraße 33 (Verkehrsarchiv) und
Wien VII, Andreasgasse 7 (Archiv der Republik) betreut werden.
1981–1986 wurde in Wien-Erdberg (Nottendorfer Gasse 2-4, 1030 Wien) ein Archivneubau errichtet (Eröffnung 1988), der heute die Generaldirektion, die Restaurierwerkstätte, die Zentralbibliothek des Staatsarchivs und die Archivabteilungen Allgemeines Verwaltungsarchiv - Finanz- und Hofkammerarchiv, Archiv der Republik und Kriegsarchiv beherbergt.
Nur der denkmalgeschützte Archivzweckbaut des 19. Jahrhunderts am Minoritenplatz wird weiterhin genutzt.
Die Generaldirektoren des Österreichischen Staatsarchivs
1945–1955 | Leo Santifaller (1890–1974) |
1955 | Oskar Regele (1890–1969), interimistischer Leiter |
1956–1967 | Gebhard Rath (1902–1979) |
1968–1972 | Hanns Leo Mikoletzky (1907–1978) |
1973–1975 | Walter Goldinger (1910–1990) |
1976–1978 | Richard Blaas (1913–2004) |
1979–1986 | Rudolf Neck (1921–1999) |
1987–1993 | Kurt Peball (1928-2009) |
1994–2011 | Lorenz Mikoletzky (geboren 1945) |
2012–05/2019 | Wolfgang Maderthaner (geboren 1954) |
06/2019-10/2019 | Manfred Fink (geboren 1955), interimistischer Leiter |
seit 11/2019 | Helmut Wohnout (geboren 1964) |
Literatur
- Das Österreichische Staatsarchiv. Geschichte-Leistung-Aufgabe. Eine Dokumentation anläßlich der Eröffnung des Neubaus am 28. April 1988. Wien 1988
- Goldinger, Walter: 25 Jahre Österreichisches Staatsarchiv. Erfahrungen und Probleme. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 22 (1969), S. 335-340
- Goldinger, Walter: 30 Jahre 2. Republik – 30 Jahres Österreichisches Staatsarchiv. In: Scrinium 14/1976, S. 6-11
- Hutterer, Herbert/Just, Thomas, Zur Geschichte des Reichsarchivs Wien 1938-1945. Essen 2007 (Tagungsdokumentationen zum Deutschen Archivtag 10), S. 313-325
- Jerabek, Rudolf: Das Wiener Reichsarchiv. Institutions- und kompetenzgeschichtliche Entwicklung 1938-1945. (PDF, 1624 KB)
In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs = Archive unter dem Hakenkreuz 54 (2010), - Jerabek, Rudolf: Zu den Anfängen des Österreichischen Staatsarchivs 1945-1948. (PDF, 3471 KB)
In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 54 (2010) = Archive unter dem Hakenkreuz, S. 319-386 - Kraus, Wilhelm: 10 Jahre Österreichisches Staatsarchiv 1945–1955. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8 (1955), S. 238-304
- Mikoletzky, Lorenz: Das Österreichische Staatsarchiv. In: Schatzhäuser Österreichs. Das Österreichische Staatsarchiv. Wien 1996, S. 5-12
- Mikoletzky, Lorenz: Das Österreichische Staatsarchiv an der Jahrtausendwende. In: Scrinium 54/2000, S. 417-423
- Musial, Thorsten: Staatsarchive im Dritten Reich. Zur Geschichte des staatlichen Archivwesens in Deutschland 1933–1945. Potsdam 1996
- Peball, Kurt: Der Neubau des Österreichischen Staatsarchivs. In: Scrinium 34/1986, S. 135-143
- Rath, Gebhard: 20 Jahre Österreichisches Staatsarchiv 1945–1965. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18 (1965), S. 562-610
- Seidl, Jakob: Das Österreichische Staatsarchiv. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1/1 (1948), S. 3-19
- Hutterer/Just, Reichsarchiv Wien 1938-1945 (PDF, 144 KB)